Die Philsophie im Boudoir | Nicola Gründel

 

DIE PHILOSOPHIE IM BOUDOIR | Von Marquis de Sade.

MIT Nicola Gründel und Larissa Breidbach | REGIE Andrea Imler | BÜHNE Franziska Harm | KOSTÜM Lena Käuper | DRAMATURGIE Nadja Groß | PREMIERE in der Reihe WERKSTÜCKE am 3. Mai 2014 am Schauspiel Köln. Wiederaufgenommen in der Spielzeit 2015/16.

> Die Philosophie im Boudoir auf der Homepage des Schauspiel Köln


ÜBER MARQUIS DE SADE
Gewöhnlich versteht man unter Sadismus Grausamkeit. Auspeitschungen, Gemetzel, Folterungen, Morde, die in Sades Schriften als erstes ins Auge springen, scheinen zu bestätigen, was die Tradition mit seinem Namen in Verbindung gebracht hat. [...] Sein ganzes Verhalten seiner Frau gegenüber bezeugt eine offensichtliche seelische Grausamkeit. Ausführlich hat er über die Lust geschrieben, die das Zufügen von Schmerzen bereitet; seine Ausführungen sind allerdings wenig aufschlußreich, da er sich damit begnügt, die klassische Lehre vom animalischen Nervenleben neu vorzubringen: "Es geht darum die Gesamtheit unserer Nerven durch einen möglichst heftigen Schock zu erschüttern. Da nun zweifellos der Schmerz eine sehr viel heftigere Empfindung ist als die Lust, ist auch der Schmerz, der auf unsere Nerven zurückwirkt, wenn wir diese Empfindung im anderen erregen, viel heftiger! Sie geraten in viel stärkeres Beben und der Schock schwingt länger in uns nach." [...] Durch die Erschütterung wird das Dasein in sich und im anderen gleichzeitig als Subjektivität und als Objektivität erfaßt; in dieser mehrschichtigen Einheit verschmelzen die beiden Partner, jeder wird von seiner eigenen Gegenwart befreit und gelangt zu einer unmittelbaren Kommunikation mit dem anderen. Der auf de Sade lastende Fluch, der sich nur aus seiner Kindheit erklären lassen könnte, ist diese ausschließliche Ichbezogenheit, die es ihm unmöglich macht, sich je zu vergessen und sich der Gegenwart anderer wirklich bewusst zu werden. [...] Gewöhnlich erfaßt jeder Mensch seine eigene Fleischlichkeit im Taumel, in dem er den anderen fleischlich erlebt. Wer sich in die Einsamkeit seines Bewusstseins einschließt, dem wird diese Erschütterung nicht zuteil, und nur in der Vorstellung vermag er dem anderen zu begegnen. Gierig belauert ein verstandesbestimmter, kalter Liebhaber den Genuß der Geliebten und muss sich als Urheber dieses Genusses bestätigen, denn für ihn gibt es keine andere Möglichkeit, selbst Fleisch zu werden: dieses Verhalten, das die menschliche Vereinzelung durch eine bewußte Tyrannei aufzuheben trachtet, kann man als sadistisch bezeichnen. Sade weiß, dass es ein aggressiver Akt sein kann, im anderen Lust zu erzeugen, und manchmal hat seine Herrschsucht diese Gestalt angenommen; aber sie vermag ihn nicht zu befriedigen.

In: Beauvoir, Simone de (2007) Soll man de Sade verbrennen? Drei Essays zur Morals des Existentialismus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

AUS DER TEXTFASSUNG
EUGÉNIE Es hat der Natur gefallen, als sie die Menschen schuf, ihre Triebe zu unterscheiden, wie ihre Gesichter und ich sollte mich über die Verschiedenartigkeit, die sie unseren Gesichtszügen gegeben hat, nicht mehr wundern als über ihre Neigungen. MADAME Ist der Mensch etwa Herr seiner Neigungen? Man muss Menschen, die absonderliche Neigungen haben weder beklagen noch beschimpfen. Und sagt einem ein Mann denn eigentlich etwas Unangenehmes, wenn er den Wunsch bezeugt, sich mit einem zu erlustigen? Wohl kaum; er macht einem ein Kompliment. Warum also mit Beleidigungen und Beschimpfungen darauf antworten? Nur Dummköpfe können so denken. Das Los der Frau gleicht dem der Hündin oder Wölfin: Sie gehört allen, die sie begehren. EUGÉNIE Wenn wir die Phantasie anregten, wenn wir sie die äußersten Grenzen überschreiten ließen, müsste sie dann nicht ganz absonderlicher Einfälle fähig sein? MADAME Die Phantasie ist der Stachel der Lust. EUGÉNIE Wenn das so ist, müssten wir dann nicht unserer Phantasie in Richtung auf die unvorstellbarsten Dinge freien Lauf lassen? MADAME Bist du dir klar, dass man auf dem Weg, den du uns da vorzeichnest, sehr weit gehen kann? EUGÉNIE Zum Verbrechen? MADAME Zu den schwärzesten Verbrechen. EUGÉNIE Aber doch nur um die Phantasie zu entzünden: Man führt die Verbrechen doch nicht aus? - Man führt die Verbrechen doch nicht aus? Aber es ist so süß auszuführen, was man ersonnen hat. Man begeht also Verbrechen… MADAME Manchmal habe ich das getan. EUGÉNIE Ich frage also, was du ersonnen und ausgeführt hast. MADAME Eines Tages, werde ich dir mein Leben erzählen… EUGÉNIE Ich sehe, du liebst mich nicht genug, um mir deine Seele bloßzulegen. MADAME Das Schmutzigste Gemeinste und Verbotenste ist immer das Anregendste… Wenn du Gelegenheit zu einer bösen Tat bekämst, wärst du bereit, sie zu begehen?

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Fotos: Philipp Müller, 2014.